Die Sprache der Vertrautheit
Bist du ein Mensch, der immer sagt, wie er sich fühlt?
Wenn ja, dann: Herzlichen Glückwunsch.
Ich kenne nicht viele, die das können. Vereinzelt ja. Doch der Ruf, den sie in unserer Gesellschaft haben, ist nicht immer der Beste. Im Gegenteil. Der Weichei-Stempel, der auf die Stirn gedrückt wird, lässt nicht lange auf sich warten. Wir haben in unserer perfekten Welt irgendwie gelernt, dass das Unperfektsein fehlt am Platz ist.
Doch Moment … perfekte Welt? Tatsächlich?
Die Rede ist aber nicht nur von negativen Gefühlen, Ängsten, Sorgen oder Zweifeln. Ich meine damit auch die Freude und die Liebe. Wir oft ist es so, dass wir jemanden toll finden, ihn/sie liebhaben und sagen es nicht? Wegen Grenzüberschreitung? Wie geht es dir damit, wenn du ein Kompliment bekommst? Wenn dir aus heiterem Himmel jemand sagt, dass er dich super findet und dich mag. Hüpfst du dann vor Freude herum?
Mir ist das manchmal schon peinlich, und nicht zuletzt interpretiere ich in diese Worte Hintergedanken oder falsche Motivation hinein. Oder wie gehen wir damit um, wenn wir uns über etwas von Herzen freuen? Teilen wir das mit anderen? Sagen wir mal, du hättest Lohnerhöhung oder irgendeinen Bonus bekommen und könntest jetzt statt einmal im Jahr ein zweites Mal in den Urlaub fahren, dir ein tolles Auto kaufen oder dir irgendeinen anderen Luxus für dich oder deine Familie gönnen. Wie gehst du damit um … wie gehst du damit um, wenn andere so ein Glück haben?
Es gibt Gründe, warum ich mir Gedanken über das alles mache. Erstens vermisse ich das irgendwie. Klar würde es Vieles vielleicht anstrengender, emotionaler und konfliktbeladener machen aber nicht nur das Leid würde geteilt, sondern auch die Freude. Weg vom Smalltalk und hin zu tiefen, echten Gesprächen und Auseinandersetzungen. Nur so können auch Knoten gelöst werden. Der Gedanke, dass man nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nicht im Mittelpunkt stehen möchte, spielt vielleicht eine große Rolle. Irgendwie denkt man ja das von diesen Menschen, die mit ihren Emotionen so offen umgehen. Doch einen Vorteil haben Sie: Nur, wenn Dinge erkannt und ausgesprochen werden, kann man sie ändern, kann man sich helfen lassen. Ich möchte damit nicht verleugnen, dass wir manchmal Dinge tun und sagen, weil wir tatsächlich Aufmerksamkeit wollen, nach Anerkennung schreien. Da dürfen wir uns auf die Suche nach dem Grund machen. Es würde aber hier den Rahmen sprengen.
Der zweite Grund, warum wir diese „Sprache der Vertrautheit“ wieder lernen dürfen und sollen, ist mir persönlich als Christ in der letzten Zeit so unglaublich bewusst geworden. Falls du kein Christ bist, darfst du das überspringen, musst du aber nicht 😊
Ich bin katholisch aufgewachsen, habe als Kind sehr viel über unseren Glauben gelernt, Gemeinschaft erleben dürfen und liebe diese Kirche. Doch für mich persönlich ergab alles erst 2010 wirklich einen Sinn. Diesen tieferen Sinn. Dieses Erkennen von Jesus als unsern Freund. Diesen Grund, warum und wofür wir überhaupt Kirche sind.
In meinen Kindertagen lernte ich die ganzen Gebete auswendig. Und ja, das war dann bis zu meinen Jugendjahren tatsächlich auch mein Gebet. Gott war für mich nicht „greifbar“. Irgendein ganz großes „Wesen“ irgendwo, nur nicht bei mir. Was tatsächlich in meinem Herzen geschehen ist, oder ob da irgendwas geschehen ist, während ich Gebete aufsagte, weiß ich nicht. Vielleicht?
Vor 11 Jahren wurde mir bewusst, dass Gott sich nach mir sehnt und „hörte Jesus an meine Herzenstüre klopfen“. Ausschlaggebend war ein Freund, der mir genau durch diese mir fremdgewordene Sprache der Vertrautheit während Gesprächen und Gebetszeiten die Herzensaugen einen Spalt geöffnet hat. Anfangs war das echt manchmal schräg und irgendwie tatsächlich fremd. Paradox in der heutigen Zeit. Ich hinterfragte das so, wie oben beschrieben, war tatsächlich oft kurz davor, den Stempel aufzudrücken … auf Abstand zu gehen, nichts davon wissen zu wollen. Doch meine Sehnsucht machte sich mehr und mehr bemerkbar, und ich ließ mich darauf ein, ließ mich faszinieren von diesem Jesus, der nicht irgendwo ist, sondern näher als ich jemals geahnt hätte.
Ich durfte Gott als liebenden Vater kennenlernen. Als einen Gott, der sich von mir genau diese Sprache der Vertrautheit wünscht. Ja, im Laufe dieser Jahre durfte ich lernen (und lerne immer noch), dass man in einer echten Beziehung zu Jesus gar nicht vorbekommt an dieser Sprache.
Mein Leben begann sich zu ändern. Ich begann mich zu verändern. Es war eine wirklich krasse Zeit, in der ich sehr viele Wunder erleben durfte, in der mit Jesus so krass offenbarte, dass geliebt bin. Geschwister im Glauben nannten das „Flitterwochen“. Lustig, gell. Lustig fand ich es aber nicht mehr, als diese Wochen vorbei waren und der Alltag mich wieder hatte. In diesem Alltag fühlte ich mich zwar getragen und Gott brachte Ordnung in mein und unser Leben als Familie. Ich wusste, dass ich das Gewonnene nie wieder verlieren wollte, und doch holte mich Vieles wieder ein. Mal mehr, mal weniger. In dieser anfänglichen Zeit brauchte es meinerseits auch nicht so viele Worte. Ich staunte einfach nur. Doch die Gebetszeiten veränderten sich. Das nicht mehr so präsente, sprachlose Staunen musste anderweitig gefüllt werden. Doch wie? Ich hörte mich um. Während ich das hier schreibe, muss ich direkt schmunzeln.
Anscheinend ging es nicht nur mir so. Ich hörte anderen jungen (frisch bekehrten) Erwachsenden beim Beten zu und dachte … das ist es! Oh dieser Slang, dieser neue Wortschatz verpackt in einem so gepflegten Deutsch … einfach wunderbar. Das musste Gott gefallen. Ich versuchte, mir das abzuschauen, zu lernen. Vergeblich. Als vollblütige Niederbayerin versagte ich kläglich. Ich konnte das nicht. Vielleicht auch gut so. Heute kommt es mir manchmal tatsächlich unecht und aufgesetzt vor. Eben auswendig gelernt. Mich erinnert das an die Sportmoderationen … irgendwie haben da doch auch alle diesen gleichen Slang. Nichts für ungut 😉
Das war es also nicht.
Ich sagte einfach nichts. Nebenbei hörte ich Musik, um diese neue Stille aushalten zu können. Es passierte nicht sehr viel. Natürlich machte mich das traurig.
Ich kann mich noch gut an diese eine stille Zeit erinnern, in der ich meiner Traurigkeit freien Lauf ließ. Im Hintergrund lief ruhige Musik und ich kauerte in einem Stuhl. Sehnend und hoffend … die Hoffnung fast aufgegeben.
Vor meinem inneren Auge sah ich plötzlich einen Mann auf einem Stuhl sitzen. Er war irgendwie beschäftigt. Daneben auf dem Boden spielte ein kleines Kind. Das Kind hörte auf zu spielen und blickte zu dem Mann hoch. Es krabbelte hin zu ihm und griff mit den kleinen Händchen nach seinem Hosenbund. Der Mann legte das, womit er beschäftigt war, zur Seite, bückte sich hinunter und zog das Kind auf seinen Schoß. Für das Kind war das alles voll normal. Es schmiegte sich an diesen Mann und da war einfach nur noch Geborgenheit. Pur.
Wow, dachte ich. So ein schönes Bild. Nach dieser intensiven Gebetszeit machte ich mich wieder an die Arbeit.
Plötzlich, (ich brauche manchmal etwas länger 😊), kam es mir in den Sinn: Das Kind war ja ich! Da wollte mir Gott etwas zeigen!
Es war eine Einladung. Die Einladung meines Lebens! Mir wurde bewusst, dass wir einen Gott haben, auf dessen Schoß wir klettern dürfen. Zu jeder Zeit! Das ist doch wirklich unglaublich, oder? Es ist genauso, wie es Jesus in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn beschreibt. Genauso!! Er ist zum Vater zurückgekommen. Er war voll Schweinemist, hat gestunken und war einem Bettler gleich. Er war mit Zweifel beladen und wusste nicht, ob er kommen darf … Er hat sich Worte zurechtgedacht und mit Ablehnung gerechnet. Doch der Vater lief zu ihm, umarmte ihn, legte einen kostbaren Mantel über den zerschundenen, schmutzigen Sohn und war einfach nur froh. Von Herzen froh.
Welche Sprache braucht es da? Zwischen Kind und Papa?
Ich muss gestehen, wenn ich mir das vor Augen halte und an diesen wunderschönen Gebetseindruck denke, der mir da geschenkt wurde, ist es mir mehr möglich, mein Herz auszuschütten vor Gott, doch überwiegt immer noch dieses alte perfektionistische Muster, das meinen Deckel erst springen lässt, wenn ich verzweifelt bin und ich merke, dass aus eigener Kraft gar nichts mehr geht. Bis dahin klammere ich mich mit Leibeskraft an jeden menschlichen Strohhalm. Dennoch weiß ich, dass Jesus in jeden Moment, in jede Kleinigkeit, in jede Sorge hineingenommen werden will. Er kennt sie ja ohnehin. Außerdem, kann Jesus erst in meiner Schwachheit stark werden. Solange ich mir einrede, es ist alles OK, ich bin OK … wird nichts passieren. Solange ich es nicht kapiere, dass ich Hilfe brauche, dass ich Vergebung, Trost, Nähe usw. brauche, wird auch nichts passieren. Theoretisch wissen wir das.
Wann haben wir diese Sprache der Vertrautheit verlernt? Wann wurde sie zur Fremdsprache? Ich denke, es gibt viele Gründe. Hauptgrund ist natürlich, wenn unser Vertrauen missbraucht wurde.
Bei Gott dürfen wir sie wieder lernen …
Gottes Segen ❤